SWR2 Interview mit Rüdiger Heins
Dass die experimenta einmal so erfolgreich sein würde, hatte sich Rüdiger Heins vor über 20 Jahren wohl nicht gedacht, als das Magazin mit gerade einmal 80 Abonnenten an den Start ging. Mittlerweile sind es mehr als 20.000, die sich regelmäßig monatlich dafür interessieren. Grund genug für „SWR2 am Samstagnachmittag“ mit dem Autor und Regisseur über diesen Erfolg zu sprechen. Carola Hornig hat sich mit Rüdiger Heins unterhalten, auf der folgenden Website gibt es das ganze Interview:
Die Sendung wurde am Samstag 16.4.2022 um 14:05 Uhr ausgestrahlt.
Unterstützen Sie die experimenta!
Literatur, Kunst und Kultur sind in diesen Zeiten wesentliche Komponenten, um das innere Gleichgewicht aufrecht zu erhalten, damit die Lebensfreude nicht verloren geht.
SOMMER 2023
Liebe Leserinnen und Leser,
Französische Revolution, Wiener Kongress, Märzrevolution:
Immer mehr Schülerinnen und Schüler wissen darüber – nichts. Das gilt selbst für die Zeit des Kalten Krieges, dessen Krisen mehr und mehr im Nebel des Vergessens in eine diffuse Vergangenheit verschwinden. Es droht weitverbreitete Geschichtsvergessenheit.
Daran ist unser Bildungssystem nicht unschuldig, kommt doch das Fach Geschichte, wenn es denn überhaupt noch unterrichtet wird, an den meisten Schulen zu kurz. In einigen Bundesländern und Kantonen wird gerade noch eine Wochenlektion für Geschichte gewährt. Der fatale Niedergang dieses Fachs dürfte vor allem vier Gründe haben: Zum einen ist die Vermittlung von Fakten im Unterricht, wie sie im Fach Geschichte nun einmal essenziell ist, bedingt durch die neuen, auf Kompetenzen basierenden Lehrpläne, immer weniger gefragt. Und zum andern haben die zunehmende Ausrichtung unserer Bildungspolitik auf die MINT-Fächer, auf Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik, und die Schaffung neuer Fächer, wie die Frühfremdsprachen und «Medien und Informatik», das Fach Geschichte an den Rand gedrängt. Und nicht zuletzt ist es in der Schweiz der Lehrplan 21, in dem Geschichte als eigenständiges Fach verschwunden ist und durch das schwammige Sammelfach «Räume, Zeiten, Gesellschaften» ersetzt wurde, das alles Mögliche an Realien umfasst. Schließlich wird Geschichte in vielen Schulen nicht mehr chronologisch, sondern in Längsschnitten zu Themen, wie etwa «Armut und Reichtum», «Kolonialismus» oder «Krisenherde», unterrichtet. Die Vorstellung vom zeitlichen Nacheinander weicht damit einem Durcheinander, in dem es keine Epochen mehr gibt. Dringend benötigtes Überblicks- und Orientierungswissen geht so verloren.
Die Abwertung des Geschichtsunterrichts an unseren Schulen bleibt nicht ohne Folgen. Wie sollen junge Leute um den hohen Wert der Demokratie wissen, den es um jeden Preis zu erhalten gilt, wenn sie im Schulunterricht nie erfahren haben, mit welchen Mühen und Opfern die Entstehung der modernen westlichen Demokratien mit ihrer Sicherung der Freiheitsrechte verbunden war. Die Bundesrepublik Deutschland ist dafür ein sprechendes Beispiel. Gerade heute, wo Staaten wie Russland und China eine neue, autokratische Weltordnung anstreben, in der Freiheitsrechte keinen Platz mehr haben, ist ein solches Wissen unumgänglich. Und wie lässt sich das Stimmrechtsalter 16, über das die Schweizerinnen und Schweizer bald abstimmen können, staatspolitisch rechtfertigen, wenn Jugendliche, vor allem solche ohne gymnasiale Bildung, kaum wissen, auf welchen geschichtlichen Pfeilern ihr Staatswesen ruht und wie es funktioniert.
Keine Frage: Geschichte, dessen staatspolitische Bedeutung in einer Demokratie erheblich ist, muss im Kanon der Schulfächer als eigenständiges Fach einen festen Platz einnehmen und von fachlich dazu ausgebildeten Lehrkräften unterrichtet werden. Es ist Aufgabe der Politik, dafür zu sorgen, dass das Fach Geschichte bessere Rahmenbedingungen, vor allem genügend Wochenlektionen und verbindliche Bildungsinhalte, erhält.
Prof. Dr. Mario Andreotti

Mario Andreotti, Prof. Dr., Mitherausgeber der experimenta; war Lehrbeauftragter für Sprach- und Literaturwissenschaft an der Universität St. Gallen und ist heute noch Dozent für Neuere deutsche Literatur an zwei Pädagogischen Hochschulen. Daneben ist er Mitglied des Preisgerichtes für den Bodensee-Literaturpreis sowie der Jury für den Ravicini Preis, Solothurn. Er ist zudem Buchautor. Von ihm erschienen bei Haupt/UTB das Standardwerk „Die Struktur der modernen Literatur“. Neue Formen und Techniken des Schreibens (6., stark erw. und aktual. Auf l. 2022). und im FormatOst Verlag der Band „Eine Kultur schafft sich ab. Beiträge zu Bildung und Sprache“ (2019). Seine Wohnadresse: Birkenweg 1, CH-9034 Eggersriet SG; Mail- Adresse: mario.andreotti@hispeed.ch